Folge 1: Katzen, Spott und eine Erfolgsgeschichte

DER ATMO-NEWSLETTER ZUR WAHL
In Zusammenarbeit mit Weltreporter.net


Der Pop-up-Newsletter von atmo stellt sich vor ••• Eine TV-Debatte, wie es sie noch nie gab ••• Die Klimaschutzbilanz der Regierung Biden

Liebe Leserinnen und Leser,

herzlich Willkommen zur ersten Folge von greening USA, dem atmo-Newsletter zur Präsidentschaftswahl. Mit solchen „Pop-up-Newslettern“ möchten wir künftig ausgesuchte Großereignisse journalistisch begleiten. Folge 1 von greening USA erhalten Sie, weil Sie sich für den Newsletter des atmo-Magazins und/oder für ein Abonnement angemeldet haben. Sollten Sie greening USA weiter beziehen wollen, melden Sie sich bitte unbedingt hier an.

Am 5. November geht es in den USA nicht nur um das Duell zwischen Kamala Harris und Donald Trump. Auch über die Abgeordneten des Repräsentantenhauses und über einen Teil des Senats wird abgestimmt. Die Ergebnisse entscheiden darüber, ob die USA weiter ein möglicher Partner für den internationalen Klima- und Umweltschutz bleibt.

In der Nacht zum vergangenen Mittwoch trafen Kamala Harris und Donald Trump zu ihrem ersten Fernsehduell aufeinander und wahrscheinlich haben auch Sie mitbekommen, mit welchen Geschichten der Ex-Präsident dort aufwartete. Von den Migranten, die den Bewohnern von Springfield, Ohio, die Katzen und Hunde wegstehlen würden, um sie zu essen, bis zu Babys, die in von Demokraten regierten Bundesstaaten gleich nach der Geburt „exekutiert“ werden dürften, reichten die Horrorstorys – beide von den souveränen Moderator:innen des Senders ABC immerhin sofort mit Fakten entkräftet. Die angebliche Abkehr Deutschlands von der Energiewende, die Trump als Beispiel dafür anbrachte, dass es ohne fossile Energieträger nun mal nicht gehe, konterte das Auswärtige Amt wenige Stunden später mit einem spöttischen Post auf X. Politiker von CDU und CSU, die sich noch immer nicht recht vom republikanischen Präsidentschaftskandidaten distanzieren mögen, reagierten empört.

TV-Duell: Kamala Harris und Donald Trump reden über die Klimakrise. Sie jedenfalls. / Video: PBS News

Das Wort „Klimawandel“ wurde von den Kandidat:innen in der Fernsehdebatte übrigens nur ein einziges Mal ausgesprochen und zwar von Kamala Harris. „Umwelt“ tauchte lediglich in einer Frage auf. Dabei sind die USA gleich hinter China der größte Klimasünder weltweit und seit Jahren auch immer stärker durch Dürre, Waldbrände und Überflutungen von den Folgen der Klimakrise betroffen.

Immerhin hat die Regierung von Präsident Joe Biden mit dem etwas irreführend benannten „Inflation Reduction Act“ ein gewaltiges Gesetzespaket auf den Weg gebracht, das dem Ausbau von grüner Energie und Elektromobilität einen gewaltigen Schub verschafft. Unser heutiges Interview mit Klimaschutzexpertin Amanda Levin beschreibt eine amerikanische Erfolgsgeschichte, die im Wahlkampf eher selten erzählt wird.

Mit atmo wollen wir daher in den kommenden Wochen unsere Themen aus dem Bereich des Klima- und Umweltschutzes gezielt in den Blick nehmen: Welchen Einfluss hat die Öl- und Gasindustrie auf den Wahlkampf? Wie engagieren sich junge Klimaaktivist:innen? Wie begegnet das Land den Herausforderungen durch die zunehmenden Naturkatastrophen? Wie hängen Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung und Rassismus zusammen? Außerdem werden wir darüber berichten, wie immer restriktivere Wahlgesetze und teils offene Manipulationen in einzelnen US-Bundesstaaten diese Wahlen zu einer echten Herausforderung für die amerikanische Demokratie machen. Aber auch dazu mehr in den kommenden Ausgaben von greening USA, die Sie hier kostenlos bestellen können.


 DIE UMFRAGEN – WER LIEGT VORN?

Kamala Harris
48,9 Prozent

Donald Trump
46,3 Prozent

Mittelwert der „Poll of the Polls“ von New York Times, Economist und Realclearpolitics. Stand:14. September 2024


Wir freuen uns sehr, dass wir bei diesem Newsletter mit drei großartigen Journalist:innen vom Korrespondentennetzwerk Weltreporter.net zusammenarbeiten dürfen, die seit längerem vor Ort leben. Sie führen für uns Interviews mit amerikanischen Politik-, Klima- und Umweltschutz-Expert:innen und versorgen uns mit Wissenswertem aus dem Wahlkampf. Kerstin Zilm war als Korrespondentin in der US-Hauptstadt Washington tätig und wurde 2003 Leiterin des ARD-Hörfunkstudios an der amerikanischen Westküste. Sie lebt in Los Angeles. Der Wissenschaftsjournalist Christoph Drösser, der das Interview für diese Ausgabe von greening USA geführt hat, dürfte vielen als preisgekrönter Buchautor („100 Kinder“) und Kopf hinter der Zeit-Kolumne „Stimmt’s?“ bekannt sein. Er lebt seit zehn Jahren in San Francisco. Arndt Peltner, ebenfalls erfahrener Journalist mit eigener nicht-kommerzieller Radiosendung („Radio Goethe“), hat in Oakland seine neue Heimat gefunden. Er arbeitet seit 1996 als freier US-Korrespondent. Seine Reportage „Trumps Todeszaun” über die Grenzregion zwischen Mexiko und den USA in Arizona erschien im Greenpeace Magazin 4.24. Ebenfalls mit ihm Team ist Andrea Junker, eine langjährige Mitarbeiterin des Greenpeace Magazins, die als „Strandjunker“ auf Twitter alias X mit ihren Beobachtungen und Fundstücken aus der amerikanischen Politik eine riesige Gefolgschaft angesammelt hat. Machen Sie sich also bis zum Wahltag auf einiges gefasst! Wir freuen uns auf Sie und Ihr Feedback. 

Herzlichst 

Fred Grimm, atmo-Redaktion

Sie möchten mehr fundierte Recherchen zu Umwelt-, Klima- und Naturschutz lesen? Dann unterstützen Sie atmo – das neue unabhängige Umweltmagazin vom Team des ehemaligen Greenpeace Magazins. Damit atmo Anfang 2025 erscheinen kann, brauchen wir bis Dezember 17.000 Abos. Seien Sie dabei!

Die erfolgreichste Regierung, die wir je hatten

Sie rechnet alles durch: Amanda Levin über die Fortschritte beim Klimaschutz / Foto: NRDC

Amanda Levin ist Direktorin für Politikanalyse beim Natural Resources Defense Council (NRDC), einer der ältesten und größten Umweltorganisationen der USA. Drei Millionen Spenderinnen und Spender finanzieren die Arbeit von mehr als 700 Wissenschaftleri:nnen und Jurist:innen. Levin leitet die wissenschaftliche Abteilung. Christoph Drösser sprach mit ihr über den Stand der Klimaschutzpolitik in den USA und eine selten erzählte Erfolgsbilanz.

Als Präsident Joe Biden 2020 antrat, versprach er, mehr für den Klima- und Umweltschutz zu tun. Wie fällt die Bilanz seiner Regierungspolitik aus?

Der im August 2022 verabschiedete Inflation Reduction Act (IRA) ist ein monumentales Gesetzespaket, das Hunderte Milliarden Dollar als Anreiz für saubere Energietechnologien und eine klimafreundliche Produktion bereitstellt. Es ist auch weltweit eines der wichtigsten Klimagesetze. Noch ist es nicht vollständig umgesetzt, aber der IRA und die Verordnungen zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen aus dem Energiesektor, aus Fahrzeugen und aus der Öl- und Gasindustrie werden die Klimabilanz der USA in den nächsten Jahrzehnten erheblich verbessern. Neue Analysen legen nahe, dass die Vereinigten Staaten ihre Treibhausgasemissionen gegenüber 2005 um bis zu 43 Prozent bis zum Jahr 2030 und bis 2035 um bis zu 56 Prozent verringern werden. Das ist ein beispielloser Fortschritt, der noch vor wenigen Jahren unvorstellbar war. Vor der Verabschiedung des IRA lagen wir eher bei einer Reduzierung um 24 Prozent bis 2030.

Beim IRA geht es nicht um Subventionen wie in Europa üblich, sondern um Steuergutschriften. Die Menschen und Firmen müssen also erst in den Klimaschutz investieren, bevor sie diese Steuergutschriften erhalten. Machen genügend Unternehmen und Haushalte von dem Angebot Gebrauch?

Der größte Teil, etwa 180 der geschätzten 369 Milliarden, die insgesamt von der US-Regierung ausgegeben werden sollen, sind Steuergutschriften für Wind- und Solaranlagen, aber es sind auch Zuschüsse, Kreditbürgschaften und andere Hilfen für Investitionen in erneuerbare Energien enthalten. Die Programme sind auf eine Laufzeit von zehn Jahren und mehr ausgelegt, aber schon jetzt wurden die Erwartungen weitgehend erfüllt oder übertroffen. In den vergangenen zwei Jahren beliefen sich allein die Investitionen in saubere Energietechnologien und saubere Produktion auf insgesamt 493 Milliarden Dollar, das entspricht einem Anstieg von siebzig Prozent gegenüber den Investitionen vor dem IRA. Dabei beliefen sich die Regierungsausgaben für Steuergutschriften, Zuschüsse und Darlehensbürgschaften auf 78 Milliarden Dollar, die privaten Investitionen auf das Fünf- bis Sechsfache.

Sonnige Aussichten: Eine Solarenergieanlage mitten in Texas / Foto: iStock

Wo hat das Gesetz die größten Wirkungen entfaltet?  

Die größten Verbesserungen gab es im Bereich der sauberen Energieerzeugung. Im letzten Quartal wurden in den USA 64 Prozent mehr für die Herstellung sauberer Energien ausgegeben als für die Öl- und Gasproduktion. Auch bei den Investitionen in die Herstellung von Elektrofahrzeugen stehen die USA jetzt an erster Stelle und haben China offiziell überholt.

Wie beliebt sind Elektroautos in den USA?

Etwa neun Prozent aller in den Vereinigten Staaten verkauften Pkw sind elektrisch, gegenüber zwei Prozent im Jahr 2020.

Der Anteil ist nur halb so hoch wie in Europa

Ja, aber wir sind auch bei einem sehr niedrigen Prozentsatz gestartet. Prognosen von Bloomberg New Energy Finance zufolge machen Elektroautos im Jahr 2032 mehr als die Hälfte aller Verkäufe aus.


30%

ihrer Kosten können Hausbesitzende in den USA seit 2022 für die Anschaffung von Solarpanels, kleinen Windturbinen, Energiespeichern oder die klimafreundliche Sanierung der Gebäude von der Steuer absetzen.


Gibt es Bereiche, in denen das Gesetz nicht funktioniert?

Bei der sauberen Elektrizität, insbesondere den Batteriespeichern für das Stromnetz, ist noch viel zu tun. Wind- und Solarkraftwerke sowie die Speichertechnik umfassen mehr als 94 Prozent aller Projekte, die in diesem Jahr ans Netz gehen sollen. Doch noch fehlen viele Genehmigungen für Übertragungsnetze, um den sauberen Strom auch ins Netz zu bringen. Da gibt es noch einiges zu tun.


„Im letzten Quartal wurden in den USA 
64 Prozent mehr für die Herstellung sauberer Energien ausgegeben als für die Öl- und Gasproduktion.“

Amanda Levin


Die Regierung hat Zahlen über die Erfolge des IRA veröffentlich, natürlich nur positive. Sie führen Ihre eigenen Berechnungen durch. Wie gehen Sie dabei vor?

Der NRDC verwendet das sogenannte Integrierte Planungsmodell (IPM), das von der US-Umweltschutzbehörde EPA und vielen Bundesstaaten zur Bewertung der Auswirkungen umweltpolitischer Maßnahmen eingesetzt wird. Wir haben zum Beispiel berechnet, dass die Emissionen im Energiesektor bis zum Ende dieses Jahrzehnts um fast zwei Drittel stärker sinken werden, als wir 2022 prognostiziert haben.

Der IRA hat, wie Sie sagten, eine Perspektive bis zum Jahr 2030 und vielleicht darüber hinaus. Wie weit könnte eine neu gewählte Regierung von diesen neuen Umweltgesetzen abrücken? Wie viel ist bereits heute unumkehrbar – etwa beim Bau von Batteriefabriken oder der Entscheidung von Autofirmen, ab 2035 nur noch Elektroautos anzubieten? 

Ein großer Teil des Geldes ist bereits geflossen. Sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen nutzen die Steuergutschriften – für die Anschaffung von Wärmepumpen über Elektrofahrzeuge bis hin zum Bau neuer Solar- und Windkraftanlagen. Die nächste Regierung könnte immer noch einige Bestimmungen zurücknehmen. Aber ich denke, das wird auch eine Frage der politischen Opportunität sein, einige dieser Programme sind wirklich populär. Insbesondere die Produktion sauberer Energie wird vor allem in den von den Republikanern regierten Bundesstaaten gefördert und hat dort für ein starkes Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze gesorgt.

Der IRA fördert bevorzugt strukturschwache Regionen, in denen zum Beispiel früher Kohle abgebaut wurde. Wenn eine neue Regierung in Washington das zurücknehmen will, könnte sie also Probleme mit ihren eigenen Parteifreunden in diesen Staaten bekommen? 

Genau. Um Ihnen einen Eindruck zu vermitteln: Bei den Pro-Kopf-Investitionen in saubere Energie liegt Wyoming mit bislang 3762 Dollar pro Person an der Spitze, gefolgt von Nevada, Kalifornien, Arizona und Tennessee. Das größte Wachstum bei den Erneuerbaren haben Tennessee, Kentucky, Nevada, Michigan und Kansas, wo überwiegend Republikaner regieren und davon profitieren.

Ich habe einige Straßeninterviews durchgeführt und die Leute gefragt: Können Sie mir sagen, was der IRA ist? Und neun von zehn sagten entweder „Ich habe keine Ahnung“ oder gaben eine falsche Antwort. Und wenn ich mir den aktuellen Wahlkampf anschaue, dann sprechen die Demokraten, wenn sie über den IRA reden, darüber, dass die die Menschen weniger für ihr Insulin bezahlen müssen. Das ist auch wichtig, aber es ist nicht der Hauptschwerpunkt des Gesetzespakets. Warum reden die Regierung, die Demokraten oder auch die Umweltorganisationen nicht mehr über den Klimaaspekt? 

Ich kann nicht für die Regierung oder die Demokraten sprechen. Wir geben Informationsblätter heraus und politische Stellungnahmen. Für uns steht jedenfalls fest: Das ist die fürs Klima erfolgreichste Regierung, die wir je hatten.

Wenn Sie einen Wunschzettel für die nächste Regierung hätten – was wären die nächsten Schritte, um diese Erfolgsgeschichte fortzuschreiben? 

Viele Menschen halten es für einen Selbstläufer, dass die sinkenden Kosten für Wind-, Solar- und Batterietechnologien zu dem sauberen Energienetz führen werden, das wir wollen und brauchen. Aber es sind noch andere Elemente nötig. Insbesondere brauchen wir politische Maßnahmen und Gesetze, die Hindernisse bei der Stromübertragung beseitigen. Sauberer Strom ist bereits wirtschaftlich, jetzt müssen wir die Infrastruktur und das saubere Netz aufbauen, die regenerative Energien verlässlich und resilient machen. Und wir müssen die Emissionen bei bestehenden Gaskraftwerken begrenzen. Es muss noch mehr getan werden, um die Klimaschutzverpflichtungen zu erfüllen, die die USA auf internationaler Ebene eingegangen sind. halten es für einen Selbstläufer, dass die sinkenden Kosten für Wind-, Solar- und Batterietechnologien zu dem sauberen Energienetz führen werden, das wir wollen und brauchen. Aber es sind noch andere Elemente nötig. Insbesondere brauchen wir politische Maßnahmen und Gesetze, die Hindernisse bei der Stromübertragung beseitigen. Derzeit warten mehr erneuerbare Energien darauf, ans Netz angeschlossen zu werden, als Stromkapazitäten vorhanden sind. Sauberer Strom ist bereits wirtschaftlich, jetzt müssen wir die Infrastruktur und das saubere Netz aufbauen, die regenerative Energien verlässlich und resilient machen. Und wir müssen die Emissionen bei bestehenden Gaskraftwerken begrenzen. Es muss noch mehr getan werden, um die Klimaschutzverpflichtungen zu erfüllen, die die USA auf internationaler Ebene eingegangen sind.

Vielen Dank für das Gespräch!


AUFGELESEN

Andrea Junker ist ihren 272.000 Follower:innen auf X unter dem Namen Strandjunker bekannt. Für uns kommentiert sie den US-Wahlkampf und stellt aktuelle Fundstücke zusammen. Diesmal im Mittelpunkt: Trumps desaströse TV-Debatte mit Kamala Harris.

Trump just now claimed that rising sea levels from the climate crisis is a good thing because it will create more beachfront property. He has no comprehension of reality.

Robert Reich @RBReich


Like it or not: Germany’s energy system is fully operational, with more than 50% renewables. And we are shutting down — not building — coal & nuclear plants. Coal will be off the grid by 2038 at the latest. PS: We also don’t eat cats and dogs. #Debate2024

GermanForeignOffice @GermanyDiplo



ABC fact-checked Trump more often than Harris for the same reason that the police arrested Al Capone more often than Amelia Earhart.

Mark Jacob @MarkJacob16


No 2nd Trump/Harris debate. I guess Trump decided one ass-kicking was enough.

Stephen King @StephenKing

Following Taylor Swift’s endorsement of Kamala Harris, there has been a „400% or 500% increase“ in voter registration — between 9,000-10,000 people per hour, according to data firm TargetSmart. „It’s really unlike anything I’ve seen,“ says TargetSmart senior adviser Tom Bonier.

CBS News @CBSNews


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